Manuel Vázquez Montalbán:
Requiem für einen Genießer
Piper, München 2005
S. 359
»Riesig,
chaotisch, schmutzig.« Carvalho wiederholte die Worte wie eine Litanei, während
er durchs Fenster seines Hotelzimmers eine verheißungsvolle Sackgasse betrachtete,
in der sich auf erodierten Dächern, die als Schutthalden dienten, ganze Berge
von Müll häuften, organische und anorganische Reste; vielleicht waren es aber
auch Ruinen und irdische Überbleibsel, die es, entsetzt vom menschlichen Elend,
beim löblichen Versuch, als Abfall himmelwärts zu fliehen, nur bis dorthin geschafft
hatten. Er hatte den Eindruck gehabt, daß alle Straßen von Heerscharen verkrüppelter
Menschen, von Leprakranken und Blinden mit vom Star getrübten, grünlich-gelben
Augen bevölkert waren. Allerdings milderte die Masse an geschwächten Menschen,
zumindest hier in Kalkutta, keineswegs die Tragik, mochten sie dieses schauderhafte
Leben auch freiwillig führen, es beherrschen und überwunden haben.
»Die sogenannte
Britische Stadt ist recht hübsch, obwohl der Reinlichkeitsstandard auch da nicht
überall gleich ist. Das ist Kalkuttas großes Problem. Ich hoffe, Sie sind nicht
ernsthaft um Ihre Gesundheit besorgt. Über die Brücke nach Haora zu gehen würde
ich Ihnen allerdings nicht empfehlen. Das ist die Hölle. In dieser Stadt gibt
es nur Industrie und Elend; die Leute sterben auf dem Gehsteig, ihre Leichen
werden oft erst am Tag darauf abgeholt.«